messfahrt mit dem hochgeschwindigkeitslabor advanced trainlab prvwAm 11. März 2021 haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) eine zweiwöchige Versuchsreihe mit Technologien für den sicheren, effizienten und flexiblen Zugverkehr von morgen erfolgreich abgeschlossen. Ziel der Forschungsarbeiten des DLR ist es, mehr Passagier- und Güterverkehr auf die Schienen zu bringen, den Fahrgastkomfort durch weniger Umsteigen zu erhöhen, notwendige Bahnübergänge besser abzusichern und eine flexiblere Zusammensetzung der Züge zu ermöglichen, um Streckenkapazitäten zu optimieren. Dazu benötigt der Schienenverkehr mehr Automation. Gemeinsam mit Kooperationspartnern entwickelt das DLR die notwendigen Kommunikations- und Navigationsverfahren, um solche neuen Lösungsansätze zu ermöglichen.

Die Messfahrten führten zwei Projektteams des DLR-Instituts für Kommunikation und Navigation von Halle über Göttingen, Berlin, München und Herrsching, bis nach Augsburg. Ein speziell ausgestatteter Hochgeschwindigkeitszug, das „advanced TrainLab“ der Deutschen Bahn, war als rollendes Labor mit Hochfrequenztechnik, Spezialantennen und Sensoren an Bord im Einsatz. Im Projekt „V2X-DuRail“ untersucht das DLR-Team insbesondere Funksysteme im Frequenzband bei fünf Gigahertz, die eine sichere Kommunikation zwischen Zügen, Teilzügen und Wägen, und mit dem kreuzenden Straßenverkehr ermöglichen sollen. Für das Bahnsystem der Zukunft ist es zudem essenziell, jederzeit zuverlässig bestimmen zu können, wo sich ein Zug befindet, wie lange er ist und ob er noch vollständig ist. Das Projektteam von „IMPACT“ erschließt dazu eine neue Lokalisierungsmethode, die Magnetfeldmessungen nutzt und auch dort funktioniert, wo die Satellitennavigation an ihre Grenzen stößt.

Kommunikation zwischen Zügen und Autos

In der ersten Märzwoche konzentrierten sich die Messungen auf das Projekt „V2X-DuRail“ (Vehicle-to-Everything-Funk für digitale, urbane Zugkommunikation). Die Verkehrssysteme der Zukunft werden zunehmend digitalisiert und vernetzt. Dadurch lassen sich beispielsweise Bahnübergänge sicherer zu machen, indem sich Autofahrer als auch Zugführer aufeinander hinweisen. Im Schienenverkehr werden vor allem Zugsteuerungs- und Zugbeeinflussungssysteme mit drahtloser Kommunikation weiter ausgebaut. Solche Kanäle könnten etwa eingerichtet werden, um die Infrastruktur besser auszulasten und Kollisionen mit anderen Zügen oder Autos zu vermeiden. Parallel dazu werden Autos zunehmend mit funkbasierter Kommunikationssystemen ausgestattet, die dafür sorgen, dass Effizienz, Komfort und Sicherheit im Straßenverkehr steigen, während Umweltbelastungen sinken. Für das vernetzte und autonome Fahren sind diese Funksysteme grundlegend. Die Funksysteme im heutigen wie auch zukünftigen Straßen- und Schienenverkehr können sich jedoch gegenseitig beeinflussen. Insbesondere in Stadtgebieten mit hoher Fahrzeugdichte kann dies zu Störungen führen. Hinzu kommen schwierige Signalausbreitungsumgebungen wie etwa Häuserschluchten oder Brücken. Für sicherheitskritische Anwendungen ist eine zuverlässige Kommunikation jedoch unabdingbar. Die erste Versuchsreihe der DLR-Wissenschaftler zielte daher auf die Frage, welche Faktoren sich wie stark auf die Funkübertragung auswirken und welche Gegenmaßnahmen wirksam sind. In dem mit hochwertiger Messtechnik bestückten Versuchszug wurden dazu verschiedene Funksignale von anderen Verkehrsteilnehmern empfangen und genau vermessen. Neben dem Zug setzte das Projektteam dabei zwei Messautos und insgesamt vier verschiedene Funksysteme ein. Die gewonnenen Daten dienen dazu, die aktuelle und zukünftige Kommunikation zwischen Zügen und anderen Verkehrsteilnehmern zuverlässiger zu machen. Die Koordination der Fahrmanöver wurde zusätzlich über das Railway Collision Avoidance System (RCAS) vorgenommen. Dieses Funksystem wurde im DLR zur Vermeidung von Zugkollisionen entwickelt und ist inzwischen über ein Spin-Off als Produkt am Markt verfügbar.

Positionsbestimmung mittels Magnetfeld

Bislang werden Züge über Achszähler an Übergangsstellen lokalisiert – diese Abschnitte können mehrere Kilometer lang sein, die Einrichtung der Achszähler ist aufwändig und die Wartung teuer. Satellitenbasierte Lokalisierungstechnik kommt nur begrenzt zum Einsatz, unter anderem weil deren Signale in Tunneln nicht zu empfangen sind. Die Forscher des DLR entwickeln im Projekt „IMPACT“ (Intelligent Magnetic Positioning for Avoiding Collisions of Trains) ein System, das bordautonom funktioniert und auch unter schwierigen Einsatzbedingungen eine gleisgenaue Positionsbestimmung ermöglicht. Dabei nutzen sie das lokale Magnetfeld zur Zuglokalisierung und setzen auf künstliche Intelligenz. Das Erdmagnetfeld wird von Metallen verändert. Das Muster das dabei entsteht, die sogenannte „Magnetfeld-Signatur“, ist einzigartig, ähnlich wie ein Fingerabdruck. Jedes Gleis ist somit unverwechselbar. Für die zuverlässige Positionsbestimmung wird das Magnetfeld sehr präzise gemessen und daraus die eindeutige Signatur bestimmt. In der zweiten Märzwoche konnte das Projektteam von IMPACT sein Lokalisierungssystem unter Realbedingungen testen und die Magnetfeld-Signaturen bestimmen. Dazu führten sie Messungen entlang der tunnelreichen Strecke von Göttingen und Kassel durch und ließen das rollende Labor mit maximaler Geschwindigkeit von 200 Kilometer pro Stunde fahren. Innerhalb eines zehn Kilometer langen Tunnels wechselten sie die Messpunkte mehrfach zwischen den beiden Richtungsgleisen, was für jede zugbasierte Lokalisierungstechnik eine besondere Herausforderung darstellt. Künftig soll das Lokalisierungssystem mittels maschinellen Lernens relevante Sensorparameter selbständig erlernen und sich so auch in bestehende Fahrzeuge unkompliziert nachrüsten lassen. Die neuartige Technik könnte den Schienenverkehr nicht nur besonders sicher, sondern durch dichtere Zugfolgen auch flexibler und damit effizienter nutzbar machen.

Optimale Streckenauslastung

Eine zuverlässige drahtlose Datenübertragung sowie hohe Lokalisierungsgenauigkeit von Zügen sind des Weiteren grundlegende Voraussetzung für das virtuelle Kuppeln. Wenn Züge nicht mehr mechanisch miteinander verbunden sind, lassen sie sich sehr flexibel zusammensetzen. Wagen mit unterschiedlichen Routen könnten in einem Zug gekuppelt und während der Fahrt auf freier Strecke an andere Züge übergeben werden. Beim sogenannten „dynamischen Flügeln“ steuert ein Führungsfahrzeug durch elektronische Anbindung ein oder mehrere Nachfolgerfahrzeuge. So kann die Nutzung des Schienennetzes durch eine dichtere Zugfolge zusätzlich gesteigert werden. Nach Abschluss der Messkampagnen IMPACT und V2X-DuRail folgt in Oberpfaffenhofen nun die Datenauswertung. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen der Weiterentwicklung von Schlüsseltechnologien, über die Entwicklung von Prototypen bis hin zur Anwendung und gegebenenfalls mit Industriepartnern zum Produkt. Für das Bahnsystem der Zukunft treibt das DLR-Institut für Kommunikation und Navigation die Digitalisierung des Schienenverkehrs und seine Wertschöpfung damit weiter voran.

Über die Projekte

Das Projekt V2X-DuRail wird vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) im Rahmen der Forschungsinitiative mFUND gefördert. Seit 2016 werden dort Forschungs- und Entwicklungsprojekte rund um datenbasierte digitale Anwendungen für die Mobilität 4.0 unterstützt. Das Verbundprojekt IMPACT wird vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie gefördert und gemeinsam mit Intelligence on Wheels durchgeführt, einer Ausgründung des DLR-Instituts für Kommunikation und Navigation, welche das am Institut entwickelte Railway Collision Avoidance System (RCAS) zur Marktreife gebracht hat und in mehreren Ländern erfolgreich einsetzt. Für beide Messkampagnen des DLR-Instituts für Kommunikation und Navigation wurde das „advanced TrainLab“ genutzt, ein Labor der Deutschen Bahn für neue Zug-Technologien. Der Versuchszug basiert auf einem ICE-TD der Baureihe 605. Durch den diesel-elektrischen Antrieb ist ein Einsatz im gesamten Streckennetz der DB, unabhängig von der Stromzuführung über Oberleitungen, möglich.

Quelle: DLR