Page 3 - ZBI-Nachrichten 1/2020
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Leitartikel
Humanistische Ideale
Von Wilfried Grunau, Präsident des ZBI
D a ist es also, das neue Jahr. ab, sondern elementar auch von bekanntermaßen keineswegs eine
Aber die so genannten Top -
zwangsläufige
Soziotechniken, humanen Koopera -
folgende
daraus
themen sind irgendwie im -
tions formen, von Emotionen und
mer noch die gleichen wie im Vorjahr. psychologischen Prozessen.“ 1 grund legende Änderung des gesell-
schaftlichen Bewusstseins.
Geht das Leben also einfach so wei-
Sicher ist, wir leben aktuell in einer Auch wenn es derzeit für konkrete
ter? Künstliche Intelligenz und Digi -
Phase umfassender technologischer, politische Vorschläge, die sich aus die-
talisierung sind in unserem (Berufs-
ökonomischer, sozialer und kultureller sem kritischen Wissen ableiten, wie
)Leben bereits feste Größen. Klima -
Umbrüche. Beispiele hierfür sind die z.B. Ressourcen und Nachhaltigkeit,
wandel und Fachkräftebedarf sind
Demographie, der Klimaschutz eben- Ener giewende oder auch das Klima -
ebenfalls in der aktuellen Politik ange-
so wie die „Trumpisierung“ (= Ver - schutzpaket, durchaus gesellschaftli-
kommen und sogar der Brexit scheint
rohung der Umgangsformen) der che Mehrheiten gibt, so bleiben diese
jetzt auf der Zielgeraden zu sein.
Aufgeregte Diskussionen lohnen
demnach nicht.
Wirklich nicht? „Wieso, weshalb,
warum – Wer nicht fragt, bleibt
dumm.“ Das ist nicht nur der Text der
berühmten Titelmusik der Sesam -
straße, sondern sollte in gewisser
Weise auch ein Grundsatz für unser
aller Handeln sein. Bleiben also doch
die „großen“ Fragen: Wie verändert
sich unsere Gesellschaft? Welche gro-
ßen Treiber sorgen für globalen
Fortschritt und Innovationen? Worin
liegen die Chancen und Potenziale,
aber auch die Herausforderungen für
die kommenden Jahre? Und was hat
das alles mit dem Ingenieurwesen,
also überwiegend technisch ausge- Dipl.-Ing. Wilfried Grunau ist Geodät und seit 1993 Präsident des Verbandes Deutscher
richteten Berufsfeldern zu tun? Vermessungsingenieure (VDV). Seit 2014 ist er zugleich Präsident des Zentralverbandes der
Ingenieurvereine (ZBI). Für sein Engagement wurde er 2011 mit dem Bundesverdienstkreuz
Zu letzterem ist die Antwort relativ ausgezeichnet.
kurz: „(Auch) Ingenieure gestalten die
Welt“. Aber natürlich ist das sehr pla-
Welt. Selten war so viel von Werte - doch eher unzusammenhängend,
kativ und stark generalisiert. Und
wandel, Werteverlust und Orientie - fügen sich weder ein in ein neues,
selbstverständlich haben wir Inge -
rungslosigkeit die Rede wie heute. umfassendes Reform- oder gar Trans -
nieure auch nicht den normativen
Glaubte man denen, die so reden, formationsprojekt, noch übersetzen
Anspruch, dass wir alles bewältigen
stünde es tatsächlich schlecht um sie sich in eine allseits mobilisierende
können. Gleichwohl: Als Technoso -
unsere Gesellschaft, taumelte diese Zukunftsstrategie politischer Parteien.
phen tragen wir durchaus eine große
ihrer Selbstauflösung entgegen, zu - Gleichwohl: „Nichts ist weniger
Verantwortung für unser Handeln
mindest aber einem Zustand, in dem unschuldig, als den Dingen ihren Lauf
und als Teil der Gesellschaft sowieso.
die alten Orientierungen nicht mehr zu lassen“, sagte der französische
Dies gilt aus technischer Sicht ebenso 2
halten und neue nicht in Sicht sind, in Sozialphilosoph Pierre Bourdieu. Und
wie aus der moralischen Perspektive.
dem die alten Werte nicht mehr gel-
Der Zukunftsforscher Matthias Horx
ten und neue kein gesellschaftliches
hat in diesem Zusammenhang ange- 1 Matthias Horx. Die 10 Paradigmen des Huma-
Glück versprechen. nistischen Futurismus.
merkt: „Technologie ist wichtig, aber www.horx.com/zukunftsforschung/humanisti-
nicht alles. Die Zukunft hängt nicht Doch das bloße Wissen über die scher-futurismus. Abgerufen am 25.12.2019
2 Pierre Bourdieu. La misère du monde. Editions
nur von sensationellen Innovationen Zustände der Welt („Fakten“) bewirkt du Seuil. Paris 1993
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