Page 5 - ZBI-Nachrichten1-2023
P. 5

Leitartikel




            beim Wegfall dieser Hürden wäre es  stieg der Frauenanteil bei den MINT-  somit  im  Ausland,  aber  diese  Zu -
            fraglich,  ob  eine  Vollzeitbe schäfti -  Studierenden  zwischen  2013  und  wanderung  muss  qualifiziert  sein.
            gung  aufgenommen  wird  und  sich  2020 gerade einmal um 3 Punkte auf  Leider folgt die „Fachkräftestrategie”
            das  volle  Fachkräftepotenzial  entfal-  29  Prozent.  Im  Ergebnis  zeigen  sich  der verantwortlichen Ampelregierung
            tet:  So  fällt  die  Teilzeitquote  bei  also  strukturelle  und  konsistente  einem  zweispurigen  Irrweg:  Dem
            Frauen trotz Jahrzehnten der Gleich -  Unterschiede  in  der  Berufswahl  von  Ausbau  von  Anreizen  der  unqualifi-
            berechtigung  deutlich  höher  aus.  Frauen und Männern – im und außer-  zierten  Zuwanderung  und  der  Un -
            Insgesamt  arbeitet  jede  zweite  er -  halb  des  MINT-Sektors.  Damit  bleibt  tätigkeit  gegenüber  den  Hürden  für
            werbstätige Frau in Teilzeit, im MINT-  es  sehr  fraglich,  ob  man  mittels  des  qualifizierte Migration.
            Sektor liegt der Anteil bei 28 Prozent,  Ansatzes  einer  „geschlechtergerech-
            während  es  bei  den  Männern  nur  5  ten,  klischeefreien  Studien-  und  Be -  Im ersten Fall senden die untergeord-
            Prozent  sind.  Dieser  Unterschied  rufsorientierung”  der  Ampel  an  die-  nete  Bedeutung  von  Qualifikationen
            scheint  sich  auch  trotz  massivem  sen  gesellschaftlichen  Realitäten  et -  bei  der  geplanten  punktebasierte
            Angebotsausbau  in  der  Kinderbe -  was  ändern  kann,  um  das  Potenzial  „Chancenkarte”,  nachträgliche  Lega -
            treuung und entscheidenden Erleich -  von  800.000  MINT-Akademikerinnen  lisierung  von  illegaler  Einwanderung,
            terungen  bei  der  Angehörigenpflege  bei  angenommener  Geschlechter -  die  Erschwerung  von  Abschiebungen
            zu  erhalten.  Es  muss  daher  deutlich  parität  zu  heben.  Zumal  sich  der  und  die  anhaltende  Hilflosigkeit  ge -
            bezweifelt  werden,  ob  die  deutlich  demographische  Wandel  nicht  auf  genüber  einer  historischen  Flücht -
            höhere Teilzeitquote bei Frauen über-  den männlichen Teil der Bevölkerung  lingskrise  völlig  falsche  Signale  –  ins-
            haupt  problematisiert  werden  muss.  beschränkt und auf Ebene der MINT-  besondere  in  Länder  mit  einem  gro-
            Vielmehr kann sie auch einfach Aus -  Fachkräfte  sogar  zu  einer  Verringe -  ßen und nur gering qualifizierten Be -
            druck unterschiedlich gelagerter Wer -  rung des Frauenanteils führte.  völkerungsanteil junger Männer. Die se
            te  zwischen  den  Geschlechtern  sein.                               unqualifizierte Einwanderung trifft auf
            Umso  befremdlicher  ist  deshalb  der  Sinnvoller  wäre  es  daher,  diese  ge -  einen  zunehmend  anspruchs vollen
            erklärte  Wille  der  Ampelregierung,  schlechtsspezifischen  Interessen  zu  Arbeitsmarkt.  Denn  es  fehlt  nicht
            die  „partnerschaftliche  Aufteilung  respektieren  und  eine  ideologiefreie  grundsätzlich an Arbeitskraft, sondern
            von  Sorge-  und  Erwerbsarbeit  in  MINT-Förderung  für  alle  bereits  ab  in  steigendem  Maße  an  geeigneter
            Familien” zu fördern.              dem Kindergarten zu etablieren. Sei -  Arbeitskraft.  Das  verdeutlichen  die
                                               tens  der  Ampel  gibt  es  hier  leider  jährlich  dramatischer  werden  Zahlen
            Ähnliches lässt sich in Bezug auf die  wenig  Positives  zu  vermelden  –  im  zu  „fehlender  Passung”  und  „Mis -
            enormen und wichtigen Anstren gun -  Gegenteil:  Die  unter  Unionsführung  matching”  am  Ausbildungs-  und
            gen zur MINT-Frauenförderung sagen:  durchgesetzte  Bundesförderung  für  Arbeitsmarkt – Fachkräftemangel ist in
            So stieg der Anteil der er werbstätigen  Schülerlabore  läuft  zusammen  mit  vielen  Berufsgruppen  also  eher  ein
            MINT-Akademikerinnen   zwischen    dem  Förderprogramm  „Aufholen     qualitatives  als  ein  quantitatives  Pro -
            2011 und 2019 nur geringfügig von  nach Corona” ersatzlos aus! Auch in  blem. Ohne entsprechende schulische
            20,2 auf 22,6 Prozent. Eine überpro-  der MINT-Frühförderung ruht sich die  oder akademische Berufsbildung fehlt
            portionale  Verbesserung  von  einem  Ampel  auf  entscheidenden  Maßnah -  es in unserem Land an sozialversiche-
            weit niedrigeren Niveau gab es in den  men  der  Vorgängerregierung  –  wie  rungspflichtigen  Jobperspek ti ven.  Die
            Ingenieurberufen: 15,1 auf 19,4 Pro -  der dauerhaften Bundesförderung für  hohe  Zunahme  an  unqualifizierter
            zent.  Frauen  sind  damit  insgesamt  die  Stiftung  „Haus  der  kleinen  Zuwanderung  birgt  somit  das  hohe
            und  bei  den  Ingenieuren  besonders  Forscher” – aus, statt diese entschie-  Risiko  der  überwiegenden  Zu wande -
            trotz  jahrzehntelanger  ge schlechts -  den weiterzuführen. Stattdessen gibt  rung in unsere Sozialsysteme – die in
            spezifischer  MINT-Förderung  weit  es  Etikettenschwindel:  An  den  erfol-  einer  alternden  Bevölkerung  zuneh-
            unter repräsentiert!  Dennoch  ist  das  greichen frühere „MINT-Aktionsplan”  mend schwerer zu finanzieren sind.
            Bild im Detail deutlich differenzierter:  wird ein „2.0” angehängt – und der
            So  fällt  der  Frauenanteil  je  nach  Mittelansatz  trotz  Inflation  um  10  Auf  der  anderen  Seite  scheitern
            Branche  deutlich  unterschiedlich  aus  Millionen Euro verringert. Mehr noch:  Fachkräfte  aus  ebenfalls  bevölke-
            und übertrifft etwa im Bereich „Textil/  Die  Frühförderung  ist  expliziter  Teil  rungsstarken  Ländern  mit  höherem
            Bekleidung/Leder”  mit  52,1  Prozent  des  neuen  Aktionsplans  –  erhält  Bildungsstand  wie  Indien  oder  Indo -
            den  Männeranteil.  In  anderen  Bran -  jedoch im Gegensatz zum schulischen  nesien  an  überkomplexen  deutschen
            chen  wie  dem  Maschinenbau  sind  Bereich keinerlei Mittel über die insti-  Verwaltungsverfahren  und  unterbe-
            Akademikerinnen  mit  einem  Anteil  tutionelle  Förderung  des  „Haus  der  setzten  Visastellen.  Auf  Nachfrage
            von 7,6 Prozent jedoch wahre Exoten.   Kleinen Forscher” hinaus!      eines  Unionskollegen  konnte  das
                                                                                  grün  geführte  Außenministerium
            Auch  in  Bezug  auf  den  MINT-Nach -  Das  erheblich  größere  Potenzial  bei  nicht  einmal  die  durchschnittliche
            wuchs  bestätigt  sich  dieses  Bild:  So  der  Fachkräftegewinnung  findet  sich  Bearbeitungsdauer von Visaverfahren



            zbi nachrichten 1-23                                                                              5
   1   2   3   4   5   6   7   8   9   10